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Religion ist von Menschen gemacht.
Religion ist das, was wir glauben und manchmal auch glauben sollen.
Religion ist auch von der Entwicklung des Menschen bzw. der Menschheit allgemein abhängig.
Religion (von lateinisch religio: die gewissenhafte Berücksichtigung, die Sorgfalt, aber auch Rücksicht, Besorgnis und Bedenken.
relegere: (lateinisch) bedenken, achtgeben, noch einmal lesen.
Religion ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Weltanschauungen, deren Grundlage der jeweilige Glaube ist …
… wurde in Ägypten der Pharao als Gott angesehen. Noch um die Zeitenwende gab es römische Cäsaren, die sich als Gott bezeichneten. Offensichtlich konnte sich die Menschheit nichts Göttlicheres als sich selbst vorstellen.
Dann die lange Zeit …
… der Macht der katholischen Kirche. Als mindestens gleichwertige Institution einer zweigeteilten Herrschaft über die Erde gemeinsam mit der weltlichen Herrschaft des Adels. Also: die katholische Kirche als Vertretung Gottes auf Erden und maßgebende moralische Institution.
(Anmerkung: ich beziehe mich dabei nur auf unseren Kulturkreis)
Nach Wikipedia gibt es über 250 Weltreligionen. Religionen mit geringer Anhängerschar sind darin nicht enthalten. Genau so wenig wie diejenigen der vergangenen Zeiten. Und jede dieser Religionen glaubt, gerade sie wäre auf dem Weg zur einzig gültigen Wahrheit.
Und diese eine(!) Religion hat noch mehr Konkurrenz bekommen. Eugen Drewermann sagt: die Psychotherapie ersetzt die Religion der letzten Jahrhunderte. Ich glaube ihm das; denn die Psychotherapie hat bereits viele heilende Prozesse ersetzt, die bis vor kurzem noch Betätigungsfeld der Kirche waren
Da wird der Mensch selbst zum Gott. Das ist zumindest die Meinung des Zukunftsforschers Noah Harari. Vom Homo Sapiens zum Homo Deus. Weil der Mensch lernt, biotechnische Prozesse und digitale Informationen zu seiner eigenen zukünftigen Gestaltung einzusetzen. Damit kann er dann die natürlichen Prozesse selbst steuern.
Ganz vorne stehen dabei die Vermeidung von Krankheiten, des Alterns und letztlich des Todes.
Aber das – also der Mensch als Gott – hatten wir ja schon mal … vor 6.000 Jahren.
Können wir daran glauben? Und vor allem: wollen wir daran glauben?
Religion: Ist das Friede auf Erden oder doch eher Ablehnung Andersgläubiger?
Ich nenne das ein Antipoden-Paar. Ich stelle gerne solche Antipoden-Paare auf. Die Bedeutung des Einen wird durch Nennung seines Gegenspielers deutlicher.
Wenn wir uns die kriegerischen oder zumindest feindschaftlichen Auseinandersetzungen anschauen, die sich um die Religionen hangeln, dann drängt sich der Eindruck auf, dass wir hier das Gegenteil erleben vom dem, was uns die meisten Religionen eigentlich vermitteln möchten.
Da können wir in die Vergangenheit schauen, z. B. auf den Dreißigjährigen Krieg (von 1618 bis 1648);
Katholiken gegen Protestanten, Protestanten gegen Katholiken – mit Gottes Beistand zog man in ganz Europa in den Dreißigjährigen Krieg. Das war in den Jahren 1618 bis 1648.
… oder wir schauen in die Gegenwart:
Die Nachrichten sind auch heute voll von Berichten über Konflikte zwischen Mitgliedern verschiedener Glaubensgemeinschaften – also … kein ‘Thema der Vergangenheit’, sondern ein immer noch bestehendes Phänomen.
Ich werde später noch näher auf den bereits zitierten Dreißigjährigen Krieg eingehen. Jetzt frage ich erst einmal: gibt die Religion Gründe, einen Krieg zu beginnen?
Da gibt es unterschiedliche Meinungen.
Zum Beispiel diese:
“Religionen eignen sich tatsächlich, um Leidenschaften und Überzeugungskräfte zu entfachen. Mit dem Glauben an die rechte Sache lassen sich Religionen instrumentalisieren. Die Religion ist nicht die Ursache, aber die Glaubensgemeinschaft impliziert da viel.”
Oliver Hidalgo, Politikwissenschaftler an der Universität Regensburg
Der Begriff ‘Religionskrieg’ hat im Deutschen aber eine vielfache und daher unklare Bedeutung. Ich stelle die Frage mal anders:
Religionen haben nicht nur wegen gemeinsamer Dogmen und Rituale eine besondere Bindungskraft. Religion bietet den Anhängern neben der Gemeinschaft und der Überzeugung in Gottes Namen – den rechten Glauben durchsetzen zu wollen – auch immer ein transzendentes Ziel, das über die irdischen Interessen des Einzelnen hinausgeht. Als Märtyrer zu sterben, für Gott, als höchstes Ziel. Ein Muster, das sich durch die Geschichte zieht, weiß Tillmann Bendikowsi: “Fanatismus, Gott mit uns, Märtyrertum, Überhöhung … das alles vereint Menschen.”
These: “Fanatismus und Märtyrertum bringen die Menschen zusammen”
Es ist also nicht die Religion, die den (Religions-)Krieg verursacht, sondern die negativen Gefühle und Einstellungen des Menschen, die ich jetzt der Einfachheit halber mal ‘das Böse im Menschen’ nenne.
Und genau um dieses Böse geht es. Aber was ist das eigentlich?
Das fängt mit dem Fanatismus und dem Hass auf der einen Seite an und hört auf der anderen Seite damit auf, dass der Andere nur eben ‘anders’ ist.
Das Fazit dieses Kapitels lautet:
Hass, Fanatismus, Gewalt – selbst ein Krieg – sind nicht verursacht durch Religion, vielmehr gibt die Religion ein Alibi für solches Verhalten. Dabei wird die Religion als ‘guter Grund’ verwendet, um die Hemmung vor Gewalt zu überwinden.
Schon gut 100 Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg begannen die Aufstände der Unterdrückten gegen das feudale System: die sogenannten Bauernkriege. Verursachend voraus gingen die Evangelisierungsbestrebungen u.a. von Luther, der sich vor allem gegen den Ablasshandel auflehnte. Noch davor war es Erasmus von Rotterdam, der es mit seinem geschickten Schreibstil verstand, kritische Inhalte gegen das bestehende Regime aus Fürsten und Kirche zu veröffentlichen. Er war ein wichtiger Begründer das Humanismus.
Erasmus steht für den gewaltlosen Humanismus und Luther für den Protestantismus. Wie das Wort schon andeutet also aus einer Protesthaltung – die auch vor Gewalt nicht Halt machte – gegen die Machenschaften der Kirche im 15. und 16. Jahrhundert.
Interessant ist, dass sich selbst diese beiden Männer nicht besonders wohlgesonnen waren, obwohl sie ein gleiches oder zumindest ähnliches Ziel verfolgten. Ich möchte sagen: selbst Luther und Erasmus führten einen Krieg gegeneinander – wenn auch eher auf der rhetorischen Ebene. Ich werde später darauf eingehen.
Ist der Dreißigjährige Krieg eine direkte Folge von Luthers Wirken? Einem Mann, der heute von uns verehrt und gefeiert wird, der aber Aufstand und Widerstand predigte und vielfachen Tod in kauf nahm? Ich bin mir darüber bewusst, dass ich hiermit eine provokante These aufstelle. Ich beabsichtige keineswegs, die wichtige Rolle des Reformators infrage zu stellen. Und ich bestreite auch nicht, dass sein Wirken zu einem Fortschritt in der Entwicklung des Menschseins führte, eine Entwicklung zu mehr Toleranz und Verständnis. Daneben muss aber auch gesehen werden, dass es sogar noch zu seinen Lebzeiten zu den Bauernkriegen kam. Sie begannen 1524 und hatten ihre Wurzeln in der Reformationsbewegung des Martin Luther. Er selbst schreibt: „Ihr Blut hängt an meinem Hals“.
Das hier soll keine Anklage werden … schon mal gar nicht aus meinem Munde. Es ist vielmehr meine philosophische Betrachtung die näher beleuchten möchte, was damals passierte, was man hätte besser machen können und welche Lehre wir heute daraus ziehen können.
… wenn sie ihre eigenen Grundsätze infrage stellt?
Das Wirken von Luther geschah in einem Moment, wo der eine Tropfen genügte, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Hätte man das vermeiden können? Und hatte Erasmus nicht vielfach davor gewarnt? Nachdem es passiert war, konnten die Bauern-Horden nicht mehr gestoppt werden. Luther versuchte zwar, ihr Treiben zu beenden. Aber diese Kehrtwende konnten und wollten die Bauern nicht mitmachen. Seine Positionierung GEGEN sie und FÜR den Adel mit der er versuchte, den Aufstand und die Gewalttaten zu beenden, führte schließlich zum Bruch mit ihnen.
Und es ging ja so weiter: Es folgte der (reformatorische) Bilder-Sturm und erst hundert Jahre später kam es zum Höhepunkt – wenn man den Dreißigjährige Krieg als solchen bezeichnen möchte.
Vor all dem hatte Erasmus von Rotterdam gewarnt. Mit einem Scharfsinn, dem Luther wenig entgegen zu setzen hatte … der dafür aber eine erhebliche größere mentale Durchschlagskraft besaß, die Erasmus wiederum gänzlich fehlte.
Eines dieser Argumente brachte Erasmus dem Luther entgegen, als dieser seine Positionierung FÜR den Adel zu begründen suchte:
Luther bezog sich dabei auf die alte katholische Glaubenslehre die besagt, dass das bestehende Herrschaftssystem gottgewollt ist; weil es ja nichts auf der Welt gibt, was einfach von sich aus da ist oder was der Mensch erstellt oder geschaffen hat, sondern alles ist von Gott gemacht. Und deswegen sei der Aufstand der Bauern gegen das biblische Gebot.
Diese von Luther vorgebrachte Argumentation widerlegte Erasmus von Rotterdam dadurch, dass er das vorher im Rahmen der Reformation vorgebrachte Argument von Luther – das Vorhandensein und damit das Regulativ der menschlichen Vernunft – gegen Luther selbst wendete:
„Wie erklärt Ihr Eure eigene Lehre in der behauptet wird, dass das Grundbedürfnis (die Grundvernunft) des Menschen (entsprechend der Lehre Jesu) darin besteht, Gutes zu tun, wenn doch alles vorher schon von Gott vorherbestimmt ist?“
Zitat: Stefan Zweig; Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam
Legt man die Lehre Christi zugrunde, in der Gewaltfreiheit, Verständnis und Nächstenliebe die Grundpfeiler bilden, dann liegen alle Mitspieler im großen Kampf um die RICHTIGE Meinung, um den RICHTIGEN Glauben im 15. und 16. Jahrhundert einfach nur Eines, sie liegen Falsch:
die christliche (katholische) Kirche, die durch amoralisches Handeln, durch Ablasshandel u.v.a. für ihre eigene Macht- und Prachterhaltung sorgte.
Die Fürsten (oder allgemein gesprochen das feudale System), denen es ihrerseits um ihren eigenen Machterhalt ging.
Die Macher des Protestantismus – allen voran Martin Luther – die ihre eigentlich menschlich und religiöse Wohltat mit Aufstand und Gewalt versuchten umzusetzen.
Die Bauern-Horden, die sich ihren Anteil am Reichtum mit Gewalt beschaffen und für die jahrzehntelange Unterdrückung rächen wollten.
Das Fazit dieses Kapitels lautet:
Immer waren die entscheidenden Prozesse in der Geschichte der Menschheit gekennzeichnet durch das Erlangung eines eigenen Vorteils bzw. Erhaltung der eigenen Macht. Der Bereich der Religionen macht da keine Ausnahme; denn Religion ist menschlich – und eben nicht göttlich.
Ich verlasse die Vergangenheit mit Luther und Erasmus und wende mich der Gegenwart zu.
Wird unser Handeln und Verhalten durch kluges, vernünftiges Abwägen gesteuert oder durch emotionale oder instinktive Impulse?
Ich weiß: diese Frage würde eine Überprüfung auf ihre Sinnhaftigkeit sicherlich nicht bestehen. Sie dient mir hier eher als Eintritt in die nächste Stufe meines Erklärungsmodells.
Zunächst möchte ich einmal an einem Beispiel hinter die Schablonen des Denkens und Handelns von uns Menschen schauen.
So könnte es doch sein, dass jemand – nehmen wir beispielsweise einen Unternehmenslenker – eine Entscheidung trifft, die zum Schaden von Menschen, Leben oder Natur ist. Trotzdem hat er lange darüber ‘nachgedacht’ und sie dann unter – da ist er sich sicher – Einbeziehung aller Argumente und aller Vernunft getroffen.
Aber … ist das damit wirklich eine Vernunftsentscheidung im Sinne des Lebens? Hat er nicht doch (vielleicht nur unbewusst einer Irrationalität folgend) daran gedacht, sich selber etwas Gutes zu tun? Was sind ‘seine’ Vorteile bei dieser Entscheidung? Sicherung seiner Position? Mehr Gewinn? Erfolgreich sein und auch so genannt und anerkannt werden? In diesen Fällen wäre es – trotz allen Nachdenkens – eine Impuls-gesteuerte Entscheidung.
Impulse entspringen aus zwei verschiedenen Quellen. Zum Einen sind sie in unseren Genen gespeichert. Zuständig ist das limbische System. In bedrängten Situation hat es die Kontrolle. Zum Anderen sind es verhaltensspezifische Impulse, die unserer Psychologie entspringen … also vereinfacht formuliert: was ist vorteilhaft für mich?
Hier ein Beispiel aus dem Buch über das Böse.
Entnommen habe ich es dem Buch : ‘Böse – Die Psychologie unserer Abgründe’ von Julia Shaw.
In einer wissenschaftlichen Studie werden Probanden vor die Entscheidung gestellt, in einer fiktiven Terror-Situation das Leben einer nahestehenden Person (z.B. der eigenen Tochter) zu retten ODER das Leben von mehreren Menschen (eine ganze Gruppe). Kurz gesagt: eine der beiden alternativen Gruppen wird unweigerlich sterben. Ich weiß … ein makaberes Experiment. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl solcher und ähnlicher Experimente. Also … phantasieren wir weiter: Logisch und vernünftig wäre es, die zweite Variante zu wählen, weil es sich um eine größere Anzahl handelt. Die überwiegende Anzahl der Probanten entscheidet jedoch impulsiv für Ersteres: sie retten das Leben einer von ihnen nahestehenden Person (Tochter) und opfern dabei zwangsläufig eine größere Gruppe unschuldiger Menschen. Das ist eine Entscheidung des limbischen Systems.
Das klingt jetzt erst einmal sehr verständlich, hat jedoch größere Effekte, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass unsere Machtmittel, unsere Maschinen und Waffen mit fortschreitender Entwicklung eine immer größere Effektivität erlangen. Dann entscheide ich mich nicht nur gegen eine größere Gruppe unschuldiger Menschen, sondern gegen eine ganze Stadt, ein ganzes Land, was ich mit dem Druck auf den roten Knopf auslösche.
Das limbische System ist keineswegs starr. Es hat sich im Laufe der Zeit auf alle Anforderungen einer sich ändernden Welt eingestellt. Doch das geschieht sehr, sehr langsam und zwar um Potenzen langsamer als das Wachstum der Zerstörungskraft unserer Waffen und vieler anderer destruktiver Methoden unserer modernen Zivilisation. Es wird auch Reptiliengehirn genannt, weil es immer noch die Überlebenstriebe der Urzeit in sich birgt. Wie lange ist das her? Wie viele Generationen von Lebewesen mussten sich langsam anpassen, um eine Entwicklungsstufe erreicht zu haben, wie sie heute vorliegt? Dieser Prozess – so postuliere ich jetzt mal – ist linear. Der Prozess unserer geistigen Entwicklung läuft dagegen exponentiell und wir sind gerade in einem ganz steilen Anstieg angelangt.
Ein weiteres, schönes Beispiel entnehme ich dem Buch von Yuval Noah Harari ‘Eine kleine Geschichte der Menschheit’:
Gibt man Wölfen Super-Zähne, die viel funktioneller, gewaltiger und überhaupt besser sind, dann ändert das nicht viel. Wölfe haben gelernt mit diesen Instrumenten zum Töten umzugehen. Oder besser gesagt: nicht ‘sie’ haben gelernt, sondern ihre Gene.
Das dort verhaftete instinktive Verhaltensmuster hat sich in Millionen von Jahren ausgebildet. Das beinhaltet die festgelegte Art und Weise, wie sie sich zu verhalten haben. Wenn sie Hunger haben, dann töten sie, um zu überleben. Wenn sie satt sind, dann ruhen sie – egal wie gefährlich ihre ‘Einrichtung zum Töten’ ausgebildet ist. Gibt man dagegen einer Herde Schafe diese Super-Zähne, dann wird es unberechenbar. Sie haben kein von der Natur – in unendlich vielen Generationszyklen – vermitteltes Regulativ. Es gibt keine Hemmung! Harari vergleicht den modernen Menschen mit dieser Schafherde, der Super-Zähne geschenkt wurde. Die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki sind ein grausames Beispiel dafür.
Ich möchte noch zwei ganz wesentliche Eigenschaft des Menschen unter die Lupe nehmen: die übernatürlichen Kräfte und den Kadavergehorsam. Ersteres würde ich nach meiner eigenen Logik eher dem limbischen System zuordnen, das Zweite dagegen eher der Verhaltens-Psychologie. Aber – wie immer auf dieser Erde – gibt es nie das Entweder-Oder … wir hatten das schon … sondern immer ein irgendwie und irgendwo dazwischen.
Übernatürliche Kräfte haben in der Geschichte der Menschheit schon sehr oft geholfen einen Sieg zu erringen. Die flammende Rede eines Heer-Führers, mit der er es schafft, die Begeisterung seiner Soldaten so zu steigern, dass auch ein in der Übermacht befindlicher Gegner keine Chance gegen die Wucht dieser entfesselten Energie hat.
Abseits von kriegerischen Auseinandersetzungen gibt es auch genügend Beispiele: Ein Ron Hubbard, der es mit seiner These der Dianetik schafft, eine derartige Begeisterung – ja eine geistige Abhängigkeit – zu schaffen, dass er seine Religion – die Scientology – in Tausende von Menschen implantieren kann. In diesem Fall verwischt dann auch die Grenze zur Manipulation.
Weniger spektakulär ist es beim Sport – z.B. beim Fußball. Eine ganz wichtige Aufgabe eines guten Trainers ist es, den Glauben an das Können der eigenen Mannschaft einzupflanzen. Genauso wichtig sind euphorische Zuschauer. Das Gefühl, dass unser Verein so super gut ist und dass unsere Zuschauer hinter uns stehen, macht uns unbesiegbar. Wir sind die Besten!
Wenn wir weiter schauen gibt es das an vielen Orten und Punkten: in der Wirtschaft (wir haben die besten Produkte … ), um Mitarbeiter anzuspornen. In der Kultur (unsere Kultur lässt den Menschen am besten zur Entfaltung kommen … ), um so unsere Überlegenheit zu dokumentieren
Ohne dass ich es wollte, bin ich wieder bei Luther und Erasmus zurück: Luther konnte diese übernatürlichen Kräfte mobilisieren … mit all den von Erasmus vorhergesagten Nachteilen und Rückschlägen.
Da sind wir dann beim Gegensätzlichen angelangt. Der Mensch mit den übernatürlichen Kräften sagt: „Ich kann alles!“ der mit dem Kadavergehorsam sagt: „Ich kann nichts!“
Hannah Arendt hat die Typologie des Kadavergehorsamen sehr wirkungsvoll an der Person von Adolf Eichmann beschrieben. Das unschuldig Schwache, das so viel Schuld auf sich lädt. Arendts Berichtserstattung kommt zu einer neuen Definition von Böse: man kann sich schuldig machen auch ohne dass man böse ist. Böse ist man nur dann, wenn man mit Absicht – also vorsätzlich – eine Unmenschlichkeit begeht.
Ist ein Justizvollzugsbeamter böse, der einen Unschuldigen in Haft hält? Er weiß es ja nicht. Wusste Eichmann, wohin seine Juden-Transporte gingen? Hätte er es wissen können? Hatte er eine Chance, es zu ändern? Hat er vielleicht sogar im Einzelfall tatsächlich Leben gerettet, indem er seine bürokratischen Vorgänge korrigiert bzw. gefälscht hat?
Das Fazit dieses Kapitels lautet:
Gut sein heißt auch, das Böse, was geschehen kann – sehen zu wollen, damit es vermieden werden kann.
… erkennen wir, wenn wir unsere eigene Psychologie einmal anschauen.
Ich versuche das mal anhand der sogenannten Wurzelsünden zu verdeutlichen.
Ich mache das hier einmal mit den Methoden des Enneagramms.
Als Quelle dient mir das Buch ‘Das Enneagramm – die 9 Gesichter der Seele’ von Richard Rohr und Andreas Ebert
Dabei beziehe ich auch die kirchlich-moralische Definitionen mit ein. Dort wird übrigens gelegentlich der Ausdruck ‘Todsünde’ verwendet. Allein schon in diesem martialischen Ausdruck wird deutlich, in welche Ecke die Bibel – oder sagen wir besser die katholische Kirche der früheren Jahrhunderte – diese Verhaltensweisen einordnet. Erstaunlicherweise hat es die Kirche nicht davon abhalten können, dass vor allem sie selbst diese Todsünden ausübte. Auch als Institution!
Im Enneagramm ist übrigens auch die Bedeutung ‘Sünde’ eine andere, als die der Bibel. ‘Sünde’ ist dann nicht das Böse, was ‘vermieden oder unterdrückt’ werden muss (anderenfalls folgt eine Strafe), sondern es ist die in mir – bzw. aus mir – herausragende, ungelöste Eigenschaft.
Und schließlich wird die Zahl der ‘Wurzelsünden’ sehr unterschiedlich gehandhabt.
Die sieben Todsünden / Wurzelsünden lauten:
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Ich habe hier die klassischen lateinischen Begriffe als Oberbegriffe gesetzt. Daneben – in rot – steht die Übersetzung ins Deutsche und zwar so, wie sie die katholische Kirche jahrhundertelang verstanden wissen wollte. In der letzten Spalte steht meine eigene Übersetzung. Ich habe sie mal die ‘wohlwollende’ Übersetzung genannt. Sie ist auch eine moderne, also unserem heutigen Wertesystem entsprechende. Nehmen wir beispielsweise Ira (die vierte). Unsere moderne Psychologie sagt, dass wir auch mal richtig wütend sein müssen, um eine innerliche Befreiung zu erreichen. Oder nehmen wir die Nummer sechs: wir kennen jemand, der viel erfolgreicher ist als wir selbst. Was hat er, was ich nicht habe? Wie kann ich genauso erfolgreich werden? Damit will ich sagen, dass Neid – oder eben wohlwollend ausgedrückt ‘der Vergleich’ – auch hilfreich sein kann. Ich muss den Anderen ja nicht gleich erschlagen.
Wie immer liegt das Dilemma nicht etwa in dem Vorhandensein einer der sieben Eigenschaften, sondern in ihrer Übertreibung statt der gewünschten Ausgeglichenheit. So können wir uns jetzt mal die Wurzelsünden der beiden Kontrahenten Luther und Erasmus näher anschauen:
Luther – das ist wohl die Vier. Der Zorn auf den Ablasshandel und der damit verbundene Ärger auf die Kirche war sein innerster Antrieb. Dieser Ärger war so groß, dass er sein Leben mehrfach aufs Spiel setzte. Dass er überlebte ist daher wohl eher ein glücklicher Zufall. Er wäre nicht der erste Evangelist gewesen, der auf dem Scheiterhaufen endete (Jan van Hus und andere). Andererseits hätte ihm manchmal etwas (erasmische) Mäßigung gut gestanden um Verständnis zu erwirken, statt jähzornig aufzutreten und so den Unwillen und die Gegenwehr zu provozieren.
Erasmus – das ist wohl die sieben. Gekämpft hat er nur von seinem Schreibtisch aus. Luther hat ihm vorgeworfen, niemals seine wahre Meinung auch standhaft und in einem persönlichem Auftritt zu vertreten. Immer waren es eher freundliche Umschreibungen, die man – auch wenn man sich als Ziel seiner Kritik sehen mochte – lächelnd akzeptieren konnte ohne das Gefühl zu haben, man müsste dazu etwas antworten oder gar etwas ändern. Ängstlich – das ist die Eigenschaft, die Stefan Zweig ihm zuordnet – und da liegt die Feigheit nicht allzu weit. Niemals hat er in einer wichtigen Frage für die eine oder die anderen Seite gekämpft. Er stand immer nur als abwägender, mahnender, auf den Humanismus pochender Gelehrter da.
Das war meine Frage nach dem Verhältnis von Rationalität versus Emotionalität.
Ich wage eine Antwort als ein vorläufiges Fazit dieses Kapitels:
Die Frage nach der Grenze zwischen Denken und Fühlen ist sinnlos, da wir die Trennlinie nicht klar ziehen können … eins fließt ins Andere. Aber bei einem bin ich mir ziemlich sicher:
wir unterschätzen regelmäßig den Einfluss, dem wir mit unserer (unbewussten) Emotionalität unterliegen.
Ich schaue in die Zukunft …
Werden wir jemals den humanistischen Zustand erreichen, den sich Erasmus von Rotterdam gewünscht hat? Werden wir jemals den richtigen Glauben, die richtige Religion bekommen, für die Luther gekämpft hat?
Meine Antwort als meinen fünften und letzten Kernsatz ist einfach … und provokant:
Das Fazit dieses Kapitels lautet:
Nein, wir können das nicht erreichen … denn … wir sind nicht dafür gemacht. Es ist nicht der Sinn des Lebens, etwas richtig zu machen. Wir befinden uns eher in einem ständigen Prozess zwischen dem Einen und dem Anderen. Wie eine Waage pendeln wir stets von einer Seite auf die Andere … immer in Bewegung … niemals still stehend. Das Leben als Prozess, nicht als Zustand und auch nicht ein letztendliches Ziel anstrebend.
Was können wir tun, wenn wir uns weit von Gott und Natur entfernt fühlen?
Gott und Natur nenne ich es hier, um dieses Unerklärliche, was um uns herum ist, zu beschreiben. Goethe sprach über die Religion ungefähr so: „ich brauche keine Religion; wenn ich das Leben und die Natur betrachte, dann ist es doch klar, dass hier etwas Göttliches geschieht“.
Goethe war das noch klar, mir auch …
Die Probleme und damit die Aufgaben der jetzt lebenden Generation ist es, das Pendel des Lebens weiter schwingen zu lassen. Und da sehe ich eine Menge Probleme. Aber welche Generation hat das nicht genau so gesehen? Ist nicht immer das, was gerade jetzt ansteht, das Allerwichtigste?
Unser heutiges Problem ist allen voran: die Zerstörung der Natur.
Ich lese über Konzepte von vielen – ganz unterschiedlichen – Gruppierungen, die Überlegungen angestellt haben, um das zu verhindern. Aber mir ist kein Konzept einer etablierten Religionen bekannt. Auch die Bibel schreibt nichts über dieses (zukünftige) Problem. Es sei denn, man versteht das endzeitliche Geschehen in der Offenbarung des Johannes (Armageddon) im Zusammenhang mit einer Naturkatastrophe.
Die Zerstörung der Natur ist aber gleichbedeutend mit der Zerstörung der Schöpfung. Wir haben die göttliche Welt verlassen (Adam & Eva) und haben sie mit unserer menschlichen ersetzt. Es sieht so aus, als wären wir dieser Aufgabe aber nicht gewachsen.
Was hat so ein kluger Mann wie Albert Einstein über die Zukunft der Menschheit gedacht? Von ihm, der zwei Weltkriege miterlebte, gibt es ein – wie ich finde – sehr passendes Zitat:
“Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie (wieder) mit Stöcken und Steinen kämpfen.”
Vielleicht hilft auch nur eine ganz andere Religion. Vielleicht eine, die mehr von Vernunft und Klugheit geleitet wird.
Ja vielleicht … aber vermutlich doch wohl eher nicht; denn für mich gilt das Theorem von Dethlefsen (ich werde den Autor in einem späteren Kapitel ausführlicher vorstellen). Dieses besagt, dass zu jeder menschlichen Bewertung IMMER auch das ‘Gegenteil’ gehört. Und dann addiert sich zur menschlichen Vernunft und Klugheit die menschliche Unvernunft und Dummheit.
Zwangsläufig!
Wir sind halt keine Götter … wir werden es auch nicht.
Abgeschlossen im Frühjahr 2019
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