Gibt es eine Wiedergeburt?

Die Literatur über die Wiedergeburt ist vielfältig und erscheint mir sogar überbordend.
Warum wird so viel darüber geschrieben?

Für mich gehört die Wiedergeburt in den Bereich der Phantasie – nicht der Philosophie. Bin ich so blind oder zu nüchtern, um mir das vorstellen zu können? Selbst der von mir so hoch geschätzte Thorwald Dethfefsen hat sich erschöpfend zu diesem Thema geäußert. Er war überzeugt von der Wiedergeburt und hat viele Reisen mit anderen Menschen zurück ins letzte Leben unternommen und angeleitet. Wie kann ein solch kluger Kopf und tief denkender Philosoph so etwas behaupten? Hat er sich da in etwas hinein gesteigert? Aber warum sollte er das tun?

Ich kann mir nur eine Antwort vorstellen: die Angst vor der Endlichkeit des eigenen Seins. Mit der Möglichkeit zur Wiedergeburt wird diese Angst gelindert.

Was steht fest?

Dieses Leben ist ein Wechsel von „Werden“ und „Vergehen“. Das können wir mit absoluter Sicherheit konstatieren.
Jetzt will ich das mit einer Wertung versehen. Der Maßstab dafür sind die menschlichen – meine – Werte und damit der Sinn, um den es hier ja immer wieder geht. Wenn überhaupt etwas als ein Maßstab für den Sinn stehen kann, dann ist es das Leben (das Göttliche).
Die Wertung lautet: „Das Leben hat immer recht!“
Damit ist auch der Tod sinnvoll.

Wie kann ich das nun mit meinem ganz persönlichen Bewertungsmaßstab zusammen bringen? Ich versuche es:
„Jeder von uns Menschen hat lebenslang Zeit, diese Erde – dieses Leben – besser zu machen. Viele Jahre, viele unterschiedliche Lebensphasen, viele Gelegenheiten; aber alles in einem zeitlich begrenzten Rahmen. Wenn die letzte Grenze erreicht ist, ist meine Mission zu Ende; dann sind Andere dran.

Ich will mich jetzt nicht darüber auslassen, wie gut das den vielen Generationen (meine eigene eingeschlossen) bisher geglückt ist. Aber ich denke, man kann den Fortschritt des Lebens (hin zum Guten … zum Glück … ) als eher langsam bezeichnen. Das ist aber nur eine menschlich subjektive Einschätzung. Versetze ich mich in die Sphäre des Lebens, dann wird Zeit eher keine Rolle spielen. Ja selbst so bedrohliche Szenarien wie die Überbevölkerung und die damit verbundene Klima-Katastrophe, die ich in den nächsten Jahrzehnten erwarte, ist für das Leben vermutlich belanglos: in etlichen tausend Jahren ist das wieder behoben.

Mit welchen Voraussetzungen bin ich auf diese Welt gekommen?

Zum Start meines Lebens habe ich ja Einiges mitbekommen – meine Ausrüstung, wenn ich das mal so salopp formulieren darf. Da sind zum Beispiel die Gene meiner Eltern. Und auch deren Gedanken und Wertevorstellungen habe ich durch ihre Erziehung mitbekommen und teilweise auch übernommen. Aber das haben meine Schwester und mein Bruder ebenfalls und trotzdem sind die beiden vollkommen anders als ich. Gut – sie sind zu einer anderen Zeit und an anderen Orten zur Welt gekommen. Aber das kann kein ausreichender Grund für dieses Anderssein, dieses Individuelle sein.

Das, was da noch hinzu kommt – hinzukommen muss, sonst wäre ich eine Kopie oder ein Klon – würde ich gerne als eine Art individuelle Grundausstattung bezeichnen. Alles Notwendige ist darin enthalten. Ich meine nicht die Überlebenstriebe. Diese sind ja sozusagen immer enthalten, wenn es um das Leben geht. Alle Pflanzen und alle Tiere sind damit ausgerüstet – natürlich auch der Mensch – als Lebewesen. Ich meine hier aber eher die Ausstattung als Mensch … die Grundeinstellung, die Wesensart. In diesem Zusammenhang kommt für mich nun der Gedanke der Wiedergeburt ins Spiel. Etwas, was schon mal da war, wird von mir übernommen, wird wieder geboren.

Das muss nicht unbedingt aus meinem eigenen letzten Leben her übernommen worden sein. Es kann auch aus dem Meer der Seelen stammen. Ich will darüber nicht spekulieren. Ich weiß es nicht, ich werde es nie wissen und ich brauche es auch nicht zu wissen. Vielmehr möchte ich dazu einen Satz zitieren, den Buddha ausgesprochen haben soll:

„Wenn Du glaubst, dass Dein altes Ich wieder geboren wird, dann irrst Du Dich. Wenn Du aber denkst, dass Du als ganz an­derer Mensch wieder geboren wirst, dann irrst Du eben­falls.“

Wer bin ich eigentlich?

Was macht mich aus? Mein Bewusstsein? Mein Unterbewusstsein? Mein Anteil am Kollektiven Bewusstsein?

Das ist – neben den soeben beschriebenen Voraussetzungen – der zweite Aspekt bei meinen Betrachtungen über das Thema Wiedergeburt.

Welcher Anteil von mir schreibt gerade an diesem Artikel? Es ist das „bewusste Ich“ oder anders ausgedrückt mein reflektierendes Bewusstsein. Nach C.G. Jung fehlt in diesem Moment aber der weitaus größere Teil, der zur Komplettierung meiner geistigen Sphäre gehört: mein Unterbewusstsein; weiterhin mein Anteil am kollektiven Unbewussten und etwas, was Jung als tiefes Unbewusstes bezeichnet, welches aber niemals in Erscheinung tritt.
Ich kann aber nur ICH sein, solange ich mit allen Bewusstseinsebenen verbunden bin.

Ich stelle jetzt zwei Behauptungen auf:

  1. Das „bewusste Ich“ wird mir nicht in die Wiege gelegt; vielmehr muss es wachsen und es verschwindet wieder mit meinem Sterben. Es ist flüchtig.
  2. Das tief im Dunkel sitzende Unterbewusste bleibt bestehen.

Mein Modell der Wiedergeburt

Werde ich neu geboren, so besitze ich noch kein „bewusstes Ich“. Dennoch habe ich bereits eine individuelle Ausprägung – ich möchte sie Grund-Individualität nennen. Das ist mein Fundament, auf dem ich meine Persönlichkeit in Form eines „bewussten Ichs“ aufbauen kann.

Vielleicht ist es gerade diese Grund-Individualität, die man als Wiedergeburt bezeichnen könnte. Vielleicht sind es Anteile meines ehemaligen Menschseins. Ich könnte mir dabei vorstellen, dass sie ihren Ursprung in unbewussten Ebenen haben. Was könnte dabei die Verbindung zwischen diesen beiden Stufen, zwischen dem alten und dem neuen Leben sein? Ein Entwicklungsschritt? Oder auch ein Rückschritt? Und wenn ich diese beiden Begriffe mit einer Bewertung versehen, dann komme ich zu Belohnung bzw. Abwertung. So wird es auch oft im Buddhismus gelehrt. Die Belohnung mündet in der Erlösung im Nirwana, die Abwertung führt zurück bis zur Schildkröte.

Ab der Geburt entwickelt der Mensch sein ganz eigenes „bewusste Ich“, ein nach oben offener und nicht endender Prozess. Da wir Menschen uns vor allem durch unser „bewusstes Ich“ empfinden und auch definieren, fühlt es sich an, als wäre ich ein ganz neues, noch nie dagewesenes Individuum.

  • Bin ich ein Unikat? Ein einzigartiges und nicht wiederholbares Wesen?
  • Oder bin bin die Fortsetzung meines vorigen Lebens?
  • Oder bin ich ein neuer Mensch mit Anteilen von früher, die mir aber nicht bewusst sind?
  • Oder basiert mein Leben auf dem Lebensimpuls des Kollektivs, aus dem Meer der Seelen?
  • Oder bin ich ein Zufallsprodukt?

Das alles sind Modelle …

oder auch Gedankenspiele. Es sind Versuche einer Beschreibung des Göttlichen durch einen Menschen. Es sind keine Glaubenssätze. Ich gebrauche nur meinen Verstand … weil ich ihn habe! Ich stoße dabei an die Grenze dessen, was ich verstehen kann und ich akzeptiere diese Grenze. Weil das Leben sinnvoll ist, ist auch diese Grenze sinnvoll.

Da ein neues Leben immer von vorne beginnt und wir niemals wissen werden, welcher Anteil sich von diesem oder jenem anleiten lässt, ist dieses Wissen auch nicht wichtig für unser Leben. Wichtig ist nur die Verbindung.

Einzeln gelebt, zusammen geführt im Tod, vereint im Leben

Zurück zum Anfang

Jetzt habe ich das Phantastische beschrieben und es damit ins Philosophische überführt.

Ich – der Denker – habe anfangs die Wiedergeburt in das Land der Phantasie positioniert. Und nun habe ich mich selbst davon überzeugt, dass es doch (auch) eine philosophische Erklärung gibt … geben könnte, die eine Wiedergeburt erklärbar macht.

Sie möchten einen Kommentar abgeben?  Schreiben Sie mir bitte. Verwenden Sie dazu meine Seite Kontakt